Monat: Oktober 2006
Das kleine Wundkrustenkrachen des Herzens
°°°
noch viel unvorstellbarer als ein Schreibender ist
ein Lesender wie die Vorstellung
auch eine Frage des Lachtyps
Was für ein Lachtyp sind Sie denn
fragte ich gestern und auch was
mich mein Geschwätz von
vorgestern anginge denn wir
hatten Konsensgewitter
heute Nacht und alle
wussten von der exakten Tiefe der
aufgeworfenen Grube
nur nicht man selbst
mit dem sanktionären Bewusstsein
°°°
Denn es geht wieder einmal nicht
mehr nur ums Fressen sie
sammeln schon wieder Kastanien
vom Boden streicheln sie und suchen
weiter als wären sie aus Gold
Und stöbern in vergangenen Zeiten
in den Welten als
Pille und Gorleben und
fragen zurück
Was für ein Lachtyp sind Sie denn
und reden
Wovon wir reden
wenn wir reden
worüber wir reden
und lassen sich nicht aufhalten
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Dann denke ich wieder an den
kleinen Weihnachtsbaum aus Plastik und
die elektrischen Kerzen in allen
vier Farben und wie
schade dass
sein Besitzer schon tot ist
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Dann verlangte man von mir endlich
souveräner mit meinem
Stoff umzugehen eines
Nachts gelang es mir auch am
anderen Morgen stellte ich fest
War nur der Vollmond
°°°
Ein sehr persönlicher Gedanke
Irgendwann werde ich meinen Oberschenkel
mit der Rasierklinge von Haaren
befreien und die afrikaförmige
Pigmentstörung freilegen die
werde ich dann
photographieren und sie
allen zeigen
(zum Beweis und)
Das hört sich nun etwas blöd an es
ist aber wahr: den Rotweinfleck
habe nicht ich dorthin gemacht
Das war der Rotwein
Und eine halbe Halbinsel
eine Viertelsinsel
wahrscheinlich
°°°
Eine andere Frage einer
anderen Säule
Kennen Sie Ihren Augeninnendruck
Wie das kleine Wundkrustenkrachen
des Herzens
Und an den Bahnhöfen
verhängen sie schon die Uhren
alles kommt zu spät
sage ich
Und zu Prometheus
Haste mal Feuer Du Assi
8. Schachtel (Signifikant)
Schreib doch mal, warum und worüber du schreibst, wird mir manchmal gesagt. Das heisst, es wird als Frage formuliert. Auf die erste kann ich noch immer keine Antwort geben, nicht, dass mir nichts dazu einfiele. Ich habe einfach noch nicht die richtige Form der Antwort gefunden. Anders verhält es sich dagegen mit dem Worüber. Sie ahnen es schon. Ich schreibe über Kartons, Schubladen, Schachteln und Koffer, eigentlich alle Gefässe und Orte der Aufbewahrung spielen eine tragende Rolle. Natürlich auch das ganze Drumherum, in zweiter Linie. Das über und unter dem Zwischen der Zeilen.
meistens ist damit ein leerer raum gemeint. er ist, wie schon einmal erwähnt, nicht vollständig leer, aber bis zu einem gewissen grad: leer gedacht. das wäre der anfang. dann füllt er sich langsam, wie das papier, auf dem auch dieser text ursprünglich stand, bis er endlich zu einem begriff gefriert, für den es freilich noch kein wort gibt. manchmal dringt danach etwas in sein innerstes, wie durch eine fluide membran, und sammelt sich dort an. man nennt es ablagerung. und – muss ich dann weiterschreiben, während dieser text entsteht. und korrigiere mich und ihn vielleicht.
Dranmor: Zyklen/Spiralen, zum 10. Kapitel
Tatsächlich, nun scheint ein Knoten geplatzt. Nachdem ich mich nun langsam wieder dem Ende des 9. Kapitels annähere, liegt plötzlich – wieso bin ich nicht vorher darauf kommen? – die einzig mögliche Variante um das Romanende vor mir, als wäre es schon lange so geplant. Ja, als wäre der ganze Text darauf angelegt.
Nach dem offenen Ende im 9. Kapitel (es ist nicht genau festgelegt, ob denn nun der Erzähler davonfliegt oder ob es sich um einen Suizidsprung von der Aarebrücke handelt), wird sich der Erzähler im 10. Kapitel aus seinem Bett erheben und mit der Niederschrift einer Romanstruktur beginnen.
Die entstandene Materialiensammlung zum Text und der Text “dranmor überschreibungen”, die ursprünglich als Kap. 10 geplant waren, werden also wieder aus dem Manuskript gelöst, werden aber vielleicht für Interessierte zum freien Download bzw. als Heftchen angeboten.
Bei den Strukturskizzen, also der Niederschrift handelt es sich aber um nichts anderes als dem hier und hier erwähnten Plotsheet (dem man noch einen anderen Namen geben wird), das sozusagen eine spezifische Lektüre bzw. die “Inhaltsangabe” (wenn man so möchte, denn freilich steckt in dieser Abbildung viel mehr und viel weniger als im tatsächlichen Haupttext) des vorangegangenen Textes anbietet.
Am Ende der Niederschrift der Struktur wird sich der Erzähler an die Arbeit machen und diese zu füllen beginnen, was natürlich wiederum zu dem Beginn des Romans führen wird.
Im Grunde, so eine Funktion dieses Ansatzes, wird hier also an einer unendlichen Spirale gearbeitet, bzw. diese abgebildet bzw. Mechanismen des Wechselspiels zwischen Lesen/ Schreiben/ Verstehen, tatsächlich also eines hermeneutischen Zirkels ausgestellt. Ein weiterer, positiver Nebeneffekt ist natürlich das inhaltliche Gerüst in Registerform, das nicht alleine lässt, wenn man in den jeweiligen, auch sprachlich durchaus unterschiedlichen Assoziationsräumen und Annäherungen verloren geht. Ich hoffe also, mit diesem Verfahren wird der Text eine im buchstäblichen Sinne runde Sache.
dran glauben
gewichtloses meinen einer trauer
grachtenlang rettet die verdünnung
deine hüfte, die leugnung eines
gedanken, der aus dem bau kommt.
im rothaus am see vom wohnwagen aus
guckst du, kühe, die salz leckend grasend
den wald stärken
(Swantje Lichtenstein, figurenflecken oder: blinde verschickung, S.38, 2006)
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