todo

– ein lehrgedicht über die gasarten (arno schmidt, der platz, s.34)

– „Von jeder Seite betrachtet ist also die Erzählung die feinste und idealste aller Prosaformen, mehr noch: aller Literaturformen überhaupt.“ (ebd., s.35)

Der Tanzbär (Noch eine allerletzte Geschichte)

Josef Hickersberger (60) erzählt Geschichten. Auch als Ex-Teamchef. Wobei er am Montag eigentlich noch Teamchef war. Nicht für den Standard, dem hatte Hickersberger den nicht unwichtigen Satz „Ich höre auf“ gesagt. Und er erklärte den Schritt, sah seine Mission erfüllt. „Ich bin leer, will kein Tanzbär mehr sein.“

Für jenen Polizisten, der ihn aufgehalten hat, war er aber Teamchef. Hickersberger wurde übrigens zu recht gestoppt, man soll im Auto ohne Freisprechanlage nicht telefonieren. Dass die Situation dann derart eskalierte, hat Hickersberger so mitgenommen, dass er die Geschichte loswerden musste. „Das Ganze hat sich mitten in einem Kreisverkehr abgespielt.“

Hier eine grobe Wiedergabe, A ist der Täter, B der Richter: A: „Was bin ich schuldig?“. B: „Das kann teuer sein, bis zu 150 Euro, ich weiß es aber nicht.“ A: „Ich gebe Ihnen 50 Euro.“ A zieht einen Hunderter aus der Börse. B: „Glauben Sie, ich bin eine Wechselstube?“ A: „Nein, natürlich nicht.“ A greift sanft nach seinem Führerschein, den B fest in der Hand hält. B droht, seine Pistole zu ziehen, und sagt: „Das ist Widerstand gegen die Staatsgewalt.“ Es kommt trotzdem nicht zum Schusswechsel. A kratzt Kleingeld zusammen (Handschuhfach, Hosentasche), es werden immerhin 48 Euro. B schaut und akzeptiert. Happy End. (q: der standard)

Leberaufstrich

Patient in Nervenklinik ermordet // In der Grazer Nervenklinik Sigmund Freud ist in der Nacht auf Mittwoch ein Patient ermordet worden. Ein Pfleger fand den 48-Jährigen mit einer halben Semmel und einer kleinen Konservendose im Rachenbereich. // Mann war ans Bett geschnallt // Als der Pfleger in das Zimmer des Patienten kam, röchelte dieser nur noch. Er hatte eine halbe Semmel und eine kleine Dose Leberaufstrich im Rachen stecken. // Da der Mann an Armen und Beinen ans Bett geschnallt war – er ist seit Jahren ein Pflegefall – konnte er sich die Semmel und die Dose unmöglich selbst in den Mund gesteckt haben.  (…)

Die Reinen

§ 13

Also ausführlich : in den Wissenschaften hat man sich bereits, wenn auch widerwillig und oft genug noch heute kopfschüttelnd, in Jahrhunderten endlich gewöhnt, die »reine« von der »angewandten« zu trennen. Hat eingesehen, daß rundherum verbohrte Pioniere auf schmalen Einmannpfaden in die Wildnis der Welt eindringen müssen : selbst wenn der lange Weg mitten in einen Sumpf führte, weiß man jetzt wenigstens, daß da einer ist ! Der »Höhere Mathematiker« hat in seinem Fach keinerlei Verbindung mehr zum »Volk«; der »einfache Mann« steht ihm wie ein Neger gegenüber. Dennoch ist die Arbeit des Professors unerläßlich; denn seine Schüler, die Techniker, die »Angewandten«, bauen daraus Brücken und Atombomben. 

Man lasse doch endlich dem Wortwissenschaftler die gleiche Gerechtigkeit widerfahren ! Und teile sie getrost ein in die »Angewandten« mit Breitenwirkung, und die »Reinen« Experimentatoren ! Es würde sogleich Alles so einfach ! : die Ersteren schrieben für die »Leser«, »das Volk« — die Letzteren für sich untereinander, und ihre evtl. Schüler, die »Angewandten« ! 

Allerdings ist Eines noch zu sagen : man besolde von Staats wegen die »Reinen« dann auch, etwa ebenso wie die Universitätsprofessoren; es werden wenig genug sein. — Wie lange mag es dauern, ehe sich die hier ausgesprochene Erkenntnis Bahn gebrochen hat ? Lange sicher. Deshalb : wenn »das Volk« eine Differentialgleichung sieht, erschrickt es des Todes und ehrt das verrückte Unbegreifliche; diesen Vorzug hat auch eine Opernpartitur. Aber Worte ? Buchstaben ? Beherrscht sie nicht Jeder ? ! Hat doch Jeder selbst Lesen und Schreiben gelernt; ausführlich in der Schule ! Kann also auch urteilen, he ? ? ! ! —

§ 14

So seht Ihr aus ! !

Aus: Arno Schmidt, Berechnungen (1953). In: A.S.: Der Platz an dem ich schreibe, Haffmanns, 1993, S.17f.