Kontakt (Alternativtitel: “Regen auf der BuchBasel“)

Bevor ich das Areal verlasse: Das Schlimmste, das Erschreckendste, Traurigste – um gar nicht den Begriff der Würde ins Spiel zu bringen – dieser Messe, wie schon letztes Jahr, ist der Stand des S.H. Schiffer Druckkostenzuschussverlages (Name geändert). Dort ist ein liebloses Rednerpult aufgebaut, hinter dem allerhand Autoren aus ihren Memoiren vorzulesen haben. Er – der Autor dieser Minuten, des Pultes – ist beinahe nicht zu erkennen, denn der Besucherstrom, der auch vor diesem unverstärkten Fluss an gedruckten, nun ausgesprochen kleinlauten Wörtern, nur einen kleinen Bogen macht und gar nicht wahrnehmen kann, verstellt die Sicht, wie auch die halbdistanzierten Vertreterinnen und Vertreter dieses Verlages, die Publikum simulieren und doch nicht dazugehören wollen, untereinander, mit etwas Abstand zum Pult, einen interessierten Dialog zu haben scheinen.

Wir peinlichen zwei: Der Vorlesende. Der Autor hinter dem Pult vor dem Stand. Er (man darf vermuten) muss aus seinem Buch lesen, ist dazu verpflichtet. Sturzbäche Schweiss auf der Stirn, bald an Hals und Kragen. Das Hemd ist ihm zu gross geraten, so steht er am Schwitzpunkt seines Lebens.

Ich nähere mich ihm weiter, möchte zuhören. Wäre es nicht so laut, wäre eine Annäherung vielleicht tatsächlich möglich. Zwei weitere Schritte. Die Verleger, Repräsentanten bemerken diese Bewegung, rücken ab, distanzieren sich weiter. Er läuft aus, schnell und ergiebig. Er flutet, jetzt, da er einsehen muss, dass es einen Zuhörer gibt, dass er, der Lesende, mit einem möglichen Leser in Kontakt getreten wird. Der doch nur Salzwasser hört und sieht. Ob diese Zeilen jemals wieder trocknen? Das Verständlichste: sein vermutlicher Ärger. Er ist verängstigt, versteckt sich, sinkt weiter hinter Pult und Text. Den Text, den er nicht wiedererkennen mag, der im Moment seiner Veröffentlichung verhallt. Unfassbar – hatte er doch einmal Schlafkammern, Küchen, Kellerräume gefüllt, die Lieben in weiche Sofas gedrückt, dort vor der Biedermeieranrichte.

Um weiteren Kontakt auszuschliessen, um nicht auch noch sehen zu müssen, wer da schaut und hört, versenkt sich der Blick in den sich auflösenden Leim des Falzes. Dort lässt es sich verweilen, während sich die Zeilen, rechts und links davon verselbständigen. Bald wieder unsichere Neugierde. Vergewisserung: Ja, ich bin noch da. Wir sind beide noch da. Nur er und ich. Wir zwei sind in dieser Sekunde ganz allein. Er, mein Lesender, mein Autor dieser Minuten. Ich, sein grösster Feind, gehasster Gegner, Zuhörer. Es ist zu laut, ringsum. Nichts kommt so an, wie es gesagt wurde. Ich würde sowieso nicht verstehen. Er hat vermutlich recht – ich verstehe kein Wort. Der Besucherstrom schwillt an, schwemmt mich weg, schwappt über den magischen Moment. Ich kann uns nur bedauern.