VI Emblematik, Allegorese

Cy Twombly wurde bekannt dafür, dass er das Malen, Zeichnen und Schreiben als eine (1) künstlerische Bewegung oder Geste begriffen und mit dieser experimentiert hat. Spielt so ein Verständnis von Produktion in der Ichschrift eine Rolle? (bhfr)

Um es aber auch ikonographisch zu betrachten: Bevor die handschriftlichen Blätter als solche und hier mit einem Transkriptionsapparat versehen und versammelt wurden, wurden diese – freilich in verkleinerter und schwach aufgelöster Form – systematisch in einem Weblog zugänglich gemacht mit dem Hinweis (10), der allenfalls „unlesbaren“ (und teilweise, s.o. „unleserlichen“) und viel zu kleinen Schrift habe man sich auch mit einem graphischen Blick zu nähern. Oder etwas frecher formuliert: Die Handschriftenblätter seien auch zu Teilen abstrakte Bildwerke, die seriell und ähnlich, aber mit signifikanten Differenzen auch als Bildkunst rezipiert werden müssten.

Die Anspielung wurde beim Wort genommen. So gab es also eine Kommentatorin, die immer wieder die „Textgraphik“ als „Gemälde“ gedeutet (11) hat und damit der (vielleicht kann man es gesamthaft nur so nennen) Installation eine erweiterte oder ganz andere Rezeptionsrichtung gab. Ohne nun aber Qualität und Richtung selbst zu beurteilen, denn mir geht es hier eher um Mechanismen und Strukturen, muss diese Form als eine Lektüremöglichkeit (oder: Betrachtungsweise) mit in den Kanon von Näherungsoptionen für solcherlei Experimente aufgenommen werden, die ja in ihrer rückwärtsgewandten Experimentalität eigentlich auf einen künftigen sinnlichen Verlust hinweisen.

Die Struktur einer Ichschrift-Seite, hier wie im Weblog, entspricht also annähernd den Kompositionsprinzipien emblematischen Kunstschaffens, diese, bestehend aus a) knapper Überschrift (inscriptio, Motto, hier: Titel), und b) dem Bild (pictura, hier: der Text als graphisch verstandene, mehr oder minder abstrakte, zu interpretierende Einheit) und c) der Unterschrift (subscriptio, hier: der OCR-Text; wobei natürlich auch zu diskutieren wäre, ob nicht auch zusätzlich oder anstelle dessen eben ein Kommentar (s.o.) hinzuzurechnen wäre).

Die Ichschrift, so begriffen als „skripturale Emblematik“, die sich (Unlesbarkeit, Drang / Zwang zur Sinnverleihung; diese zu „enträtseln“) damit wieder einer charakteristischen Vorstellung einer „Einheit von Kunst und Wissenschaft“ nähert, die sich – auch als Zeicheneinheit verstanden – im Binnenverhältnis in wechselseitiger Weise verbindet und interpretiert, wird so den Bedeutungsvorrat – durchaus auch kontrastiv – ergänzen und macht explizit das Spannungsverhältnis einer „Bildhaftigkeit von Zeichen“ und seiner Umkehrung bewusst.

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(10) http://www.abendschein.ch/site/comments/verlauf_i_is001/ (unkorr.): #1: Sollte man das lesen können? (rr am 14.03.08) #2: ich habe diese frage befürchtet. nein, erwartet, auch wenn ich noch nicht so gut mit antworten gewappnet bin. vielleicht kann mans lesen. es würde aber wahrscheinlich eher in die richtung entziffern gehen. und auch dieses wird teilweise scheitern, wie auch die maschine scheiterte, die versucht hat, diesen text zu lesen (OCR). es entstand dabei etwas ganz neues, was man vielleicht auch als ungewollten experimentaltext bezeichnen könnte. oder ein produktives missverständnis. aber sie meinen wahrscheinlich die winzigkeit der schrift. (diese wird es sicher auch mal in angemessener grösse geben, aber ich will hier ja nicht mein ganzes pulver verschiessen). / worum es mir hier aber geht, ist die reine schriftlichkeit, die durch schwerlesbarkeit zu einer umso mehr ästhetisch zu begreifenden wird. also muss man obiges (im verein mit seinem übersetzungsversuch) vielleicht als bild ansehen. als zeichnung. und den “text” nicht mehr diachron sondern synchron zu lesen versuchen. man muss ihn vielleicht betrachten. und vielleicht gibt er wiederum in serie (eine serie von “bildern” damit) etwas preis, was einem leicht lesbaren text schwer fällt. / im grunde ist dies hier ein (sehr anachronistischer) versuch, das sogenannte “private”, das sich im internet / in vielen weblogs etc. inszeniert, durch tatsächlich privates, oder sagen wir: privateres, nämlich durch eine handschrift zu überbieten … / nun könnte ich, um nur meine persönliche schrift (und man kann die nun hässlich finden oder schön, aber darum geht es ja nicht unbedingt) gegen einen strom von textversatzstücken zu setzen, irgendeinen text abschreiben. aber tatsächlich ringt und verhandelt diese ichschrift, auch, wenn sie nur schwer lesbar zu sein scheint, um genau den gegenstand – wie im titel angedeutet: das selbst, seine schrift und ihr ästhetisches. ich fürchte, ich kann an dieser stelle noch keine vollständige antwort bringen. aber hilft das ein bisschen weiter? / kleiner nachtrag: sie sehen oben und auch im noch folgenden bild lediglich eine skizze bzw. einen entwurf dieser serie, der allerdings schon mit den technischen mitteln umgesetzt wurde. beginnen wird der haupttext mit “is002” … (hab am 14.03.08) #3: eine aussergewöhnliche antwort muss ich sagen! ja, ich denke, ich habe eine vorstellung von dem, was sie meinen. aber ist es nicht so, dass, wenn man die schrift zu entziffern sucht (und es ist natürlich schwer, dies zu unterlassen, besonders, wenn man in einem literarischen weblog gräbt), das “bild” dadurch zerstört wird? würden sie diese “ichschrift” also hauptsächlich als zeichnung betrachten? (rr am 14.03.08) #4: zunächst: ja. also ist es ein “zunächstbetrachten”. bei einer intensiven bildbetrachtung würde “ich” sich dann aber auch irgendwie bald selbst mit ins bild stellen. (vermeintliche oder nicht) tiefenstrukturen zu erkennen suchen. interpretieren. und nun kommt die teilweiselesbarkeit wieder ins spiel. man würde vielleicht mehr und mehr erkennen. decodierenkönnen. muster, wiederholungen ausmachen. und so langsam weitere bedeutungen finden. es entsteht hier vielleicht erst aus der betrachtung weitere lektüre. (in einer zeit der schnell zu konsumierenden texte ist das natürlich reines gift. und möglicherweise kein unbedingt weblogaffiner inhalt). (hab am 14.03.08) #5: also wenn man das bild mit abstand betrachtet und dazu mit den augen blinzelt, könnte man einen kochtopf erkennen, der buchstaben dampft, also, im übertragenen sinne wären diese z.b. gedanken, die man in worte fasst. (rr am 15.03.08).

(11) Beispiele / Zitate (unkorr.): Zu „Schnelle, Neigungen II“: „… ein mann mit hut laut rufend oder schreiend in einer geste der verzweiflung. der stand so mancher dichter in der heutigen zeit?“ (rr am 04.04.08). Zu: „Nachtgesänge I“: #1: „ein boot, über diesem eine mächtige wolke, die das klare licht verbirgt…die einsamkeit der dichter, die wolke das unverständnis, das licht das verborgene wunderbare symbolisierend.“ (rr am 23.06.08) #2: „sehr schöne und passende lektüre der lektüre von morgensterns “fisches nachtgesang” …“ (hab am 23.06.08) #3: „und: unverständnis = “unverstandensein“= hindernis. das licht verhilft dem dichter, auf einer höheren ebene, zum durchbruch (dies kann natürlich auch in mancher weise verstanden werden..) / also das bild oder die “geheime schrift” sagt hier wirklich viel aus…“ (rr am 23.06.08) #4: „… oh, ich hatte ihren kommentar nicht gesehen. danke!“ (rr am 23.06.08). Zu „Das Utopiensische Alphabet I“: „… ich sehe eine schreibmaschine, umgeben von einer unmenge an informationen. tatsächlich scheint so die welt: stress, chaos, überfülle, zerfall und durcheinander. doch in der tiefe findet sich harmonie und schönheit – dort wo die dichter überleben…“ (rr am 11.07.08). Zu „Über das Gemüt I“: „ein junger mensch, schliesst augen und mund. kein bild und kein licht dringen ein in seine gedanken. kein ton wird weder gehört noch gesprochen. absolute stille. alles weltliche fällt von ihm ab. so wird man wohl von dem reinen sprechen?“ (rr am 01.12.08). Zu „Über das Gemüt II“: „ein sehr alter mann beugt sich nach vorne und weint…“ (rr am 09.12.08)