überschreibungen 18

(facetten*)

fernando, schmid, ferdinand, dranmor, roman, er, sie und ich. sie habe schon bemerkt, dass da ein personal dekliniert oder auch anagrammiert wurde. auf jeden fall scheinen die figuren schon auf zeichenebene miteinander verbunden. hätte man “sie” nicht vielleicht “nora” nennen müssen, fragt sie. ich winke ab. bei aller liebe zur anspielung, eine nora hätte nicht ins konzept gepasst. aber sie habe insofern recht, als man das personal oder die (gegen)figuren vielleicht wirklich als facetten eines ichs lesen könne müsse. als einem verdrängten anderen aus wörtern, die über diese personalisierung wieder mit ins spiel kommen. ob sie sich denn mit einer nora identifizieren könne?

eine personalstruktur also, die konsequenterweise auch die erzählform in passagen spiegelte. oder: ein spiel mit variationen. effekt ist allerdings, das stelle ich erst jetzt fest, dass niemals ganze charaktere entstehen, round characters, die für sich autonom im geschehen stehen. nicht einmal der icherzähler gewinnt eine glaubhafte oder stabile kontur, sondern steht immer unter einem gewissen entwicklungsdruck. (). ist also ein Mann des Übergangs im spiel mit einem ihn übergehenden personal. diese sicht rührt stark an der zentralen frage, was hier denn überhaupt (ein sinnganzes aller dranmortextebenen) abgebildet werden soll. neben dem hauptthema schreiben, oder wie entsteht ein text (* facere + to face), stellt es die gesamte anordnung in den einzugsbereich eines kontingenten passageren subjektbegriffs. (das ist nun nicht eben neu, man kann vielleicht sogar sagen, dieses argument tauche mittlerweile zyklisch auf. vielleicht ist es aber doch wieder die hinzunahme der weblogtechnologie, die durch die spezifische form oder möglichkeit nonlinearer vertextung (analog zur lesbarkeit der figuren), diesem text noch einmal eine weitere dimension geben kann). etwas mehr hierzu folgt später … CONTAINER: keine Kommentare zu dieser Kapitelhälfte. Ergänzend muss gesagt werden, dass das Barcelonakapitel tatsächlich zu grossen Teilen in Barcelona geschrieben wurde und damit fast ausschliesslich im Nachhinein aus- bzw. eingestellt. Die Eindrücke zu “Bar Brasil” wurden dagegen in Basel halluziniert.

(zu dranmor VII,4d-VII,5; übersicht überschreibungen)

überschreibungen 17b

(satzspiegel: synopse)

erste überlegung zu einer synoptischen anordnung der textteile “sie liest mich”, “dranmor” und “dranmor überschreibungen” als kopfzeilen-, haupt- und fussnotentext.

nur diesen Weg gibt Auch und gerade weil sich nur dieser Weg als begehbar er

Das Rätsel also nur ein Muster, eine Struktur, die beliebig gefüllt werden könnte. Lateinamerikanischer Staat mit vier Buchstaben. Peru. Hervorstechend, schwanger, engl.: pregnant. Was macht eigentlich die Schwangere? Hat sie sich eine neue Höhle zum Austragen gesucht? Überhaupt: Ist dieses Haus denn noch bewohnt? Ist mein In-diesem-Haus-Sein noch als Wohnen zu bezeichnen? Teil einer Wohnung. Sechs Buchstaben: Zimmer. Oder doch Keller? Im Keller liegt noch etwas Stoff. Aber: ruhig Blut. Das Wetter, kalt und trocken. Es ist mit keinen Überschwemmungen zu rechnen. Den Keller nehme ich mir im März vor. Bald. Landwirt mit fünf Buchstaben. Literarische Gattung, fünf Buchstaben.

Kein Drama. Er könne nun wirklich nicht sagen, woran er gerade arbeite. Aber er habe da noch etwas gefunden. Er könne, das müsse ich doch verstehen, diese Quelle nicht so einfach preisgeben. Hätte ich aufmerksam recherchiert, wäre ich möglicherweise von selbst darüber gestolpert. Hätte ich darüber stolpern müssen! Ich arbeite ja an der Quelle. Wer, wenn nicht ich … Er müsse sich schon wundern. Schon gut. Eine Öffnung. Eine ganz neue


(exzerpierung, collagierung … mit der präsentation im material/des materials), also hier auch des lesens auf einen zweck hin, generiert zwangsläufig fussnoten. (die primärtexte werden). oder (V,5a, Kleine Theorie des Exzerpts): Und: Dass all dies nur zur Fussnote taugte, die noch

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(zu dranmor materialien; übersicht überschreibungen)

überschreibungen 17

(defekte, töchter, bahnhöfe)

natürlich ist auch vorstell- und begründbar, dass der zu lange blick in die sonne katalytisch wirkt und von dort an die sätze auf einmal ins deskriptive kippen. und: man kann die meerpassage (VII,4a – Barceloneta) auch durchaus analog zu der bergpassage (III,1c=Über Berge schreiben) lesen, in der auch die bedingungen der eigenen wahrnehmung verhandelt werden.

man könnte aber auch auf die idee kommen, das alles biographisch zu lesen. sie mache das sehr gerne. und ob ich denn eine uneheliche tochter hätte. ob ich denn vielleicht gerne eine uneheliche tochter hätte. und ob es denn noch jemanden gäbe, von dem ich gerne eine uneheliche tochter hätte. dann formuliert sie weitere gedanken zu unehelichen töchtern und spricht von stellvertretern und platzhaltern bis ich wütend werde und ihr ein für allemal sagen muss, dass sie diesen roman nicht als stellvertreter von mir, sondern nur ihn lesen solle. oder mich zumindest da heraus halte. ob das denn so schwer sei? ich breche unsere sitzung ab. ich sage auch das nächste treffen ab. beim hinausgehen knalle ich die türe zu.

aber wahrscheinlich lädt auch das prekäre interpretationskapitel (VII,3=Perdita) – einer i.d.f fiktivbiographischen krisenlektüre eines dranmorgedichtes – zu so einer vermutung ein. ich muss es als dokument zweiter ordnung kennzeichnen und verpasse ihm eine andere typographie. vielleicht muss diese passage auch an einem ganz anderen ort eingesetzt werden. beispielsweise: nach VII,4a und dem etwas zu langen blick in die sonne. in diesem fall würde auch diese lektüre und der irisdefekt von geburt neu aufgeladen und plausibel werden. vielleicht muss ich die passage aber auch ganz streichen. aber so würden immer mehr teile, die sich tatsächlich mit dem dranmorprimärtext beschäftigten wegfallen. am ende hiesse dieser text (dessen titel ohnehin immer schwerer zu rechtfertigen ist) ganz anders. langsam formt sich auch ein bild des textes als verschiebebahnhof; und die einzelnen teile und passagen als flexibel anhängbare waggons. dann lasse ich dieses bild lieber gestrichen, bis ich weiss, wo die lok steht und wie viel sie zu ziehen vermag. (). ein bild, das sich fast aufdrängt, nachdem die schlafwagenmetapher eingeführt wurde und nach einer fortsetzung sucht (VII,1a=Drei Klänge). Probeliegen. Draussen in der Dunkelheit rast die Welt vorbei. Bahnhöfe, Ortschaften in der Nähe, müde Städte, irgendwo entlang der Strecke, aus der Perspektive der Pritsche von schräg unten nach aussen sind nur Dinge in Hanglagen erkennbar. Ein schräger Umzug der schläfrigen Welt vor meinem neuen rollenden Heim. Interim. Angenehm: das Wackeln in Wellen und ab und zu ein Geräusch, eines Steines vielleicht, der aussen an Wagenwand oder Fenster spritzt. Es gibt nicht wirklich einen Ort der Sehnsucht, den man als solchen begreift, möchte man da sagen, als ob man Zuhörer erwarte. Oder: vielleicht ist man schon immer in einem Schlafwagen unterwegs, alleine, und starrt aus dem Fenster, von schräg unten nach aussen. Wäre die Vorstellung so schlimm, sich so zu begreifen? immerhin, und auch dieser begriff muss hier wieder auftauchen, ist diese form des reisens sanfter tourismus. CONTAINER: keine Kommentare, hierzu. Aber weiterhin festzuhalten ist die noch (zu schreibende und hier) einzubauende Passage über das Lesen und Schreiben als sanftem Tourismus.

(zu dranmor VII,1a-VII,4b; übersicht überschreibungen)

überschreibungen 16b

(der text als skulptur)

sie sagt: der text tauge vielleicht als klapprige skulptur aus vielen einzelteilen. hier und da verrostet, dann wieder neues hineingeschweisst. sichtbare nähte, überall festgefahrene mechanik. kugeln und räder, schienen, rohre und scharfe kanten. so ist es, sage ich.

Bild: Jean Tinguely, Homage to New York (remnant). A self-constructing and self-destroying work of art. Demonstration in sculpture garden of Museum of Modern Art, New York, March 17, 1960

(zu dranmor materialien; übersicht überschreibungen)

– zu anderen maschinen

– auch hierzu (und: III,1c=Über Berge schreiben): carlfriedrich claus, ausblick