Dranmor VII,4f

(Koloratur)

Es tue ihm leid. Er wusste nicht in was für einer Bar wir gelandet seien. Sie habe erst vor zwei Wochen geöffnet. Nein, es sei sicher kein Puff gewesen, er hätte mich niemals in ein Bordell geschleppt. Es war vielleicht eine Art Animierschuppen, sicherlich. Und einen darin habe er gekannt – vom sehen – der neue Besitzer. Unangenehmer Typ zwar, mache immer Ärger, aber er habe eigentlich nichts gegen ihn. Wir könnten noch woanders hingehen, er kenne ein Café, gleich hier in der Nähe, das noch offen habe. Es sei ja noch nicht einmal zwei Uhr, und morgen könne er ausschlafen.

Ich bin müde und betrunken. Mein Puls pendelt sich auf normalem Niveau ein, während wir in Richtung touristischem Zentrum, den Ramblas schlendern. Ich erzähle ihm, ich hätte für heute genug, würde ihm morgen anrufen und ihn um ein paar Ratschläge und Ideen bitten, wie ich hier die Zeit verbringen könnte, was hier zu sehen wäre. Kleinlaut. Wir verabschieden uns. Er fragt nicht einmal nach, in welchem Hotel ich wohne, was mir sehr recht ist, gibt sich zufrieden mit meiner Angabe, es liege gleich hier um den Block. Ich käme alleine dorthin, er müsse ja in eine andere Richtung und solle mich nicht mehr begleiten. Ruhe. Kaum Verkehr auf den Strassen, den Gassen in denen ich dann verschwinde. Die Gestalten, die dort noch herumtorkeln, so dunkel und zwielichtig wie ich, denke ich.

Der nimmermüde Nachtportier des Hotel Opera grüsst abwesend, erinnert meine Zimmernummer und händigt den Schlüssel ohne weiteres aus. Dort unten, in der Nähe des Aufzugs, finde ich einen Getränkeautomaten und versorge mich noch mit etwas Bier und Mineralwasser. Der Lift ist hell erleuchtet, zu hell, halogenhell. Darin ein Spiegelkabinett. Mise-en-abime meiner dürftigen Hülle. Verschwitzter Raum. Ein roter Strich, Kratzer?, Schminke?, an meinem Hals. Er lässt sich zerreiben und die Stelle nimmt wieder die Blässe seiner Umgebung ein.

Ich kann hier nicht bleiben, mein erster Gedanke, nachdem ich meine Zimmertür hier auf dem zweiten Stock hinter mir geschlossen habe. Das beste aus seiner Situation zu machen. Davon hatten wir vorhin auch gesprochen. Ein Ausblendenkönnen hat er das genannt – mir ist schleierhaft, wie Fernando, nachdem ich ihm die Sache mit Roman und ihr in kurzen Zügen geschildert hatte, abbügeln wollte. So einer war er: ein Ausblendenkönner. Und er, der Schmid, was weiss er denn schon über ihn. Der Schmid damals in Paris. Gut, ich habe selbst das Thema auf den Tisch gebracht, habe eine Analogie aufgestellt zu diesem Toten, der immer versucht hatte, das beste daraus zu machen und dann zu scheitern. Seine Pariser Zeit, er hat es sich sicher gut gehen lassen, aber unter welchen Vorraussetzungen? Bei allem, was ich weiss, nein, es war eine andere Zeit, er hatte niemals etwas ausgeblendet, hatte sich regelrecht verstiegen in seine damalige Herzensangelegenheit. Und die leichten Mädchen – es war wie gesagt eine andere Zeit. Ich öffne ein Bier und leere es in einem Zug. Es ist mir völlig gleichgültig, wie es der Schmid gemacht hätte oder hatte. Ich habe genug und sehne mich nach meiner dunklen Zweizimmerwohnung mit schlechtfunktionierender Heizung und stinkender Küche. Ich entkleide mich bis auf die Unterhose und werfe mich auf das quietschende Bett.

Gegenüber knallt ein Korken. Die Schauspieler und Sänger der Oper in deren Schatten mein Zimmer liegt, haben noch etwas zu feiern. Eine Première vielleicht. Oder eine Dernière. Ich höre noch ein Lachen, eine Koloratur, einen Bass.